Long Covid: Leben am Nullpunkt

Long Covid hat ihr Leben komplett verändert: Die St.Gallerin Eveline Strübi kann seit über zwei Jahren weder arbeiten noch Hobbies ausüben oder Musik hören. Ihre Arbeitsstelle im Kanton St.Gallen hat sie verloren und auch die Invalidenversicherung springt nicht ein. Was ihr dennoch Hoffnung gibt, erzählt sie im Fadegrad-Podcast.

«Im Kaffeehaus sitzen und über Gott und die Welt diskutieren, ein Buch lesen oder auch eine lange Wanderung unternehmen, all das ist mir seit zwei Jahren nicht mehr möglich», sagt Eveline Strübi. Die St.Gallerin ist eine von geschätzt 300.000 Personen in der Schweiz, die an Long Covid erkrankt sind.

«Es war ein schleichender Prozess, wo ich nach einem eigentlich milden Verlauf merkte, dass die Kraft nicht zurückkam, sondern es mir immer schlechter ging – bis es zu einem körperlichen Zusammenbruch geführt hat».

Eveline Strübi im Fadegrad-Podcast

Über Wochen konnte Eveline Strübi nur Liegen, selbst der Gang aufs WC wurde zu einem schier unmöglichen Kraftakt, der ihren Körper unheimlich anstrengte. Seitdem ist sie mehr oder weniger in einer «Dauerkrise», wie sie sagt. «Das intensiviert die nachdenklichen Phasen, wie auch die genussvollen und freudigen Momente».

Inhalt der Podcastfolge über Long Covid:

  • 01:30 Was es konkret bedeutet, an Long Covid erkrankt zu sein
  • 08:22 Warum Eveline keine Musik mehr hören kann
  • 09:50 Long Covid – der lange Weg bis zur Diagnose
  • 13:03 Arbeitgeber und IV
  • 21:08 Ein guter Tag mit Long Covid
  • 23:27 Über Zweifel, Hoffnung & Begleitung
  • 31:46 Instagram: @lebenamnullpunkt

Long Covid ist gemäss der Weltgesundheitsorganisation WHO eine Langzeitfolge der Coronavirus-Krankheit. Die Symptome können sehr unterschiedlich sein, z.B. Schäden in Lunge, Herz, Nieren und Gehirn über Entzündungsreaktionen, Blutungsstörungen oder Atemnot, Erschöpfung/extreme Müdigkeit, Schmerzen sowie neurologischen Störungen. Noch liegt keine einheitliche Definition für Long Covid vor, jedoch spricht man meist davon, wenn die Symptome mehr als 12 Wochen andauern.

Long Covid ist eine Krankheit, die durch Ausschliessen anderer Krankheiten diagnostiziert wird. Bei Eveline Strübi dauerte es vier Monate, bis sie Gewissheit hatte. Als sie nach zwei Jahren Krankschreibung im Mai 2024 gekündigt wurde, sei dies eine sehr schmerzliche Erfahrung gewesen. Als Fachmitarbeiterin im Amt für Soziales des Kantons St.Gallen habe sie ihren Beruf zehn Jahre lang mit viel Freude ausgeübt. Zwar habe man sich im Amt für ihre Weiterbeschäftigung eingesetzt, «aber es gab keine Bereitschaft, eine gemeinsame Lösung zu suchen: Die Departementsvorsteherin hat entschieden, keine Hand zu bieten und mich zu kündigen».

Im Stich gelassen

Auch die Invalidenversicherung (IV) sprang nicht ein. Ein endgültiger Entscheid stehe zwar noch aus, doch das von der IV erstellte Gutachten werfe ihr Simulation und Arbeitsverweigerung vor, so Strübi. «25 Jahre lang habe ich gerne gearbeitet und in die IV einbezahlt. Wenn ich jetzt Phasen habe, in denen ich wieder nur liegen kann und sonst nichts machen, frage ich mich schon: Wer kommt auf die Idee, dass man das will?»

Laut dem Verein Long Covid Schweiz sind 75 Prozent der Long Covid Betroffenen nach sechs Monaten immer noch krank und nicht arbeitsfähig, doch nur weniger als 5 Prozent erhalten eine IV-Rente. «Das sind oft Menschen, die kurz vor der Pensionierung stehen», weiss Strübi. Sie geht nicht davon aus, ein Leben lang an Long Covid zu leiden. «Für mich geht es um eine finanzielle Überbrückung. Denn mir ist klar: Das Virus hat meinen Körper so durcheinander gebracht hat, dass ich Zeit brauche, um wieder gesund zu werden». Von anderen Betroffenen habe sie erfahren, dass es oft nach drei Jahren Erkrankung eine signifikante Besserung gebe – und hofft, dass es auch bei ihr so ist.

Was Kraft in der Krankheit gibt

Kraft in der Krankheit geben ihr der Freundeskreis und die Familie sowie die geistliche Begleitung durch eine Seelsorgerin. «In den Gesprächen hat alles Platz». Die Studentin an der Theologischen Hochschule Chur habe noch nie an Gottes Existenz gezweifelt, aber die Gerechtigkeit im Leben schon oft hinterfragt. «Ich lasse alle Fragen zu. In meinen Gebeten gibt es kein Tabu zwischen Gott und mir. Ich spreche meine Freude, aber auch mein Leiden aus», so Eveline Strübi. «Immer wieder mache ich die Erfahrung, wie heilsam das ist.»

#longcovid

Seit Kurzem postet Eveline Strübi Texte und Videos auf Instagram unter @lebenamnullpunkt. Damit macht sie einerseits auf die Situation von an Long Covid Erkrankten aufmerksam und teilt andererseits Impulse für Spiritualität im Kranksein und ganz allgemein in schwierigen Lebensphasen. «In den Beiträgen kann ich meine Kreativität ausleben und zeigen, woraus ich Kraft schöpfe in der Krankheit», sagt Eveline Strübi. Das ist zum Beispiel eine schöne Blume, ein Reh oder ein Fluss. «Die Achtsamkeit, der Fokus auf das kleine Glück, das wurde mir sehr wichtig.»

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