Wo kommen die Kunstwerke her, die wir in Museen ansehen können? Wer produziert die riesigen Statuen oder Skulpturen, die sich Künstler:innen ausdenken? Das wollte Fadegrad-Podcast-Host Gabriel Imhof wissen und landete bei der Kunstgiesserei St.Gallen. Diese produziert und restauriert plastische Kunstwerke im Auftrag von Kunstschaffenden, Galerien und Museen aus der ganzen Welt.
Im neuen Fadegrad-Videopodcast führt David Andermatt, Geschäftsleiter «Projekte und Produktion», durch die Hallen der Kunstgiesserei im Sittertobel. Diese ist eng mit seinem eigenen Lebensweg verbunden.
«Nach der Matura wollte ich nicht studieren, sondern mit dem Körper arbeiten. Also fragte ich meinen damaligen Nachbar, Felix Lehner, den Gründer der Kunstgiesserei, ob er etwas für mich zu tun hätte.»
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«Dynamische Ordnung» in der Kunstbibliothek
Seit 1994 ist die Kunstgiesserei St.Gallen in den Hallen der ehemaligen Färberei im Sittertal untergebracht. In der ehemaligen Wasseraufbereitungsanlage befinden sich heute die Kunstbibliothek der Stiftung Sitterwerk und Muster der Materialien für Kunstwerke. David Andermatt half als 19-Jähriger, die Maschinen für die Wasseraufbereitung herauszureissen, um Platz für Bücher zu schaffen. «Mit Flex, Schweissbrenner und Stapler durfte ich drei Monate einfach mal wüten», schmunzelt er.
Die 30.000 Kunstbücher sind hier weder alphabetisch noch thematisch geordnet, sondern stehen kreuz und quer. «Jede Nacht fährt ein eigens dafür entwickelter Roboter jede Reihe ab und hält fest, wo welches Buch steht», erklärt Andermatt. Ein Buch über Beton findet sich dann neben einem über Kunst und Liebe oder Architektur. «Diese dynamische Ordnung entspricht mehr dem, wie wir Wissen im Kopf abspeichern», ist Andermatt überzeugt. «Es ist ein spannendes Thema: Wie katalogisiert man Wissen, wie etikettiert man Bücher – oder Menschen?»
Blumen und die «Heilige Barbie» bringen Glück fürs Giessen
Nach einem Praktikum in der Kunstgiesserei entschloss sich David Andermatt, hier eine Lehre zu absolvieren. Dabei lernte er unter anderem, einzigartige Kunstobjekte zum Beispiel aus heisser Bronze nach einem 6000 Jahre alten Verfahren zu giessen.
«Das Giessen ist nicht immer kontrollierbar, vor allem bei den einzigartigen und aussergewöhnlichen Kunstwerken, die wir machen. Manchmal legen wir daher Blumen auf die Giessform für ein bisschen Glück. Und die Statue der Heiligen Barbara, bei uns liebevoll «d’Barbie» genannt, ist auch nicht nur Dekoration», so Andermatt. Die Heilige Barbara gilt als Schutzpatronin für Bergleute und alle, die mit feuergefährlichen Stoffen arbeiten.
«Wie beim Kunstgiessen, gibt es auch im Leben Momente, wo man merkt: Jetzt muss ich aufmerksam sein! Es ist heiss, man schwitzt und merkt, dass jetzt alles von diesem einen Moment abhängig ist.»
Die 90 Angestellten der Kunstgiesserei St.Gallen giessen nicht nur mit Bronze, sondern haben allerhand mechanische und digitale Lösungen parat, um Skulpturen und Kunstwerke umzusetzen. So scannen, fräsen oder drucken sie mit dem hauseigenen 3D-Drucker.
Von Shanghai, Rom und Berlin zurück zur Kunstgiesserei St.Gallen
Die Kunstgiesserei St.Gallen arbeitet mit Künstler:innen aus der Schweiz und aus aller Welt zusammen, darunter Jonathan Monk (Grossbritannien), Paul McCarthy (USA) oder Yayoi Kusama (Japan). Auch David Andermatt wollte mehr von der Welt sehen und ging nach Shanghai, um dort einen zweiten Standort der Kunstgiesserei mit aufzubauen.
«Zum ersten Mal aus meinem gesellschaftlichen Kontext herausgenommen zu sein und die Sprache nicht zu verstehen, war extrem befreiend: Ich hinterfragte, welche Werte ich einfach so übernommen hatte und musste aktiv auswählen, womit ich mich beschäftigte.»
Um noch besser zu verstehen, wie verschiedene Kulturen zusammenleben können, beschloss David Andermatt, Politikwissenschaften in Berlin und Rom zu studieren. «Ich wollte etwas gegen das weltweite Thunfischsterben tun. Ich wollte Thunfische retten! Dann merkte ich jedoch, dass ich dazu entweder Aktivist werden und Boote stoppen oder einen langweiligen Verwaltungsjob annehmen müsste und mit beidem nicht glücklich geworden wäre.»
David Andermatt landete nach dem Studium also doch wieder bei der Kunstgiesserei: «Kunst ist für mich eine unmittelbarere Auseinandersetzung mit der Welt. Der Ort hier und die Menschen bedeuten mir viel. Meine Arbeit fühlt sich nicht wie ein Müssen, sondern wie ein Dürfen an».
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Ich bin Gabriel und im Speicher AR aufgewachsen. Einige Jahre habe ich mich in der Hotellerie und Gastronomie getummelt, um mich nun mit einem sehr alten „Gastronomen“ (Abendmahl und so) auseinanderzusetzen: Jesus. Ich studiere nämlich Religionspädagogik in Luzern.
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